Sunday, September 21, 2008

Bemerkungen zum Prozess Hecht-Galinski contra Broder

INAMO Heft Nr. 55 Herbst 2008

(Volle Version – in der Zeitschrift erscheint eine leicht gekürzte Fassung aus Platzmangel)

Judeophobie ist, wenn man Juden mehr als strikt nötig hasst (nach Prof. Isaiah Berlin).



Von Shraga Elam

Der Prozess der Friedensaktivistin Evelyn Hecht-Galinski gegen den islamophoben Publizisten und Friedensgegner Henryk Broder (beide Personen sind jüdisch) gibt Anlass zur Klärung dreier wichtiger Fragen: 1. Ist Antizionismus mit Judenfeindlichkeit (Judeophobie) gleichzusetzen? 2. Ist der Vergleich zwischen den NS-Verbrechen und der israelischen Politik gegenüber den Palästinensern a priori als Judeophobie anzusehen und entsprechend zu verbieten? 3. Ist jeder Bezug auf die Macht und den Einfluss der Pro-Israel-Lobbies als antijüdisch zu taxieren?

1) Antizionismus, also die Ablehnung der Existenz Israels als Staat der Juden, kann als antijüdischer Rassismus gelten, wenn a) dieser Staat von der Gesamtheit der Juden als ihr Vertreter akzeptiert und als die einzig mögliche vernünftige Antwort auf die Bedrohtheit der Juden angesehen würde; b) ausschließlich für Juden das Recht auf nationale territoriale Selbstbestimmung bestritten würde; c) die israelische Besetzung, Unterdrückung und Benachteiligung von Palästinensern nicht berücksichtigt würde.

Das heißt nicht, dass es keine Antizionisten gäbe, die judenfeindlich sind; also Leute, die Juden hassen, weil sie Juden sind. Es gibt aber auch Prozionisten, die ebenfalls Judenhasser sind.

Der Zionismus wurde nie von der Gesamtheit der Juden unterstützt. Ganz im Gegenteil, früher war die Mehrheit der Juden gegen diese Bewegung, und es waren die Zionisten, die als judeophob oder judenfeindlich angesehen wurden. Sie sahen eine jüdische Existenz ausserhalb Palästinas als „krank“ an, und dabei scheuten sie nicht davor zurück, eklatant antijüdische Bilder zu verwenden, wie z.B. der Begründer des politischen Zionismus, Theodor Herzl, in seinem Artikel Mauschel (Die Welt, 15.10.1897 ). Als es darum ging, die Bestrebungen der Kräfte zu unterstützen, die für die Gleichberechtigung und Emanzipation der Juden eintraten, waren es die Zionisten, die deren Gegner wie zum Beispiel den NS-Vordenker, Werner Sombart verteidigten. Sombart befürwortete aus diesem Grund das zionistische Projekt (s. Jüdische Rundschau 15.12.1911 ).
Israel vertrat nie die Gesamtheit der Juden und man kann auch gar nicht sagen, dass dieser Staat die einzige oder beste Antwort auf potentielle Bedrohungen der Juden ist. Heute wächst die Ablehnung von jüdischer Seite gegenüber diesem Staat, weil dieser u.a. als Gefahr auch für Juden betrachtet wird.
Der Opposition gegen den jüdischen Nationalismus pauschal Judeophobie zu unterstellen, ist nicht sinnvoller als die Benennung sämtlicher Juden als Judenhasser, die die jüdische Religion ablehnen.
Dies heisst aber nicht, dass es keine jüdische Judeophoben gibt. Wer jüdischen Menschen pauschal nur negative oder nur positive Eigenschaften zuschreibt, ist klar ein Rassist.
Die Versuchung, über jede Gruppe von Menschen pauschal zu urteilen, ist sehr gross. Auch Henryk Broder verband 1978 in seinem Aufsatz Warum ich lieber kein Jude wäre das Jüdischsein mit etwas sehr Negativem: »…es ginge mir … darum, die eigene Herkunft mit etwas Konkretem verbinden zu können, auf das man sich beziehen kann, ohne daß es einem schlecht wird dabei.«
Es gibt kaum ein Land auf der Erde, wo Juden mehr bedroht sind, als in Israel. Israel diente nie als ein wirklicher Zufluchtsort. Dies beweist die zweifelhafte Rolle der zionistischen Führung während der NS-Zeit und die schlechte Behandlung von jüdischen Migranten, nicht zuletzt Shoa-Überlebenden.
Die Abschaffung von Israel als Judenstaat soll nichts anderes bedeuten, als die Demokratisierung des Landes, d.h., die Gleichstellung sämtlicher Bürger.

2) Beim Vergleich zwischen den NS- und den israelischen Kriegsverbrechen geht es nicht automatisch um eine Gleichsetzung. Ein seriöser Vergleich wird auf Ähnlichkeiten und Unterschiede hinweisen und ist auch nicht zwangsläufig rassistisch motiviert. Die Tabusierung dieses Vergleichs ist kontraproduktiv, nicht zuletzt, wenn die NS-Verbrechen als Massstab für die schlimmsten Untaten gelten sollen. Eine Herstellung von einer Art NS-Verbrechensskala ist dann sogar zwingend. Das war auch offensichtlich der Grund, warum die Richterin des Obersten Israelischen Gerichtshofs, Edna Arbel, am 16.6.2008 urteilte, dass solche Vergleiche unter Umständen nicht nur zulässig seien, sondern sogar zwingend angestellt werden müssten, nachdem der Journalist und Friedensaktivist Gideon Spiro von einem Mitarbeiter des Justizministeriums angeklagt wurde, weil Spiro dem Juristen eine nazistische Geisteshaltung vorgeworfen hatte. Jener Vertreter des Justizministeriums hatte die Unterdrückung der Kritik an israelischen Kriegsverbrechen befürwortet.
Arbel hielt in ihrer Urteilsbegründungsfest: „Die Beschränkung der Verwendung von Begriffen aus jenen dunklen Tagen wird eine breite öffentliche Diskussion über verschiedene gegenwärtige Erscheinungen unmöglich machen. Eine solche Beschränkung wird es unmöglich machen, aus der Vergangenheit zu lernen. Damit würde ein wichtiges Mittel für eine bedeutende öffentliche Debatte und für den Prozess der Erkenntnis- und Meinungsbildung nicht zugelassen.“

3) Es ist offensichtlich, dass es mächtige pro-zionistische Lobbies gibt. Die jüdische Organisation AIPAC ist geradezu stolz darauf, dass sie seit Jahren zu den mächtigsten Lobbies in den USA gehöre. Man muss blind sein, wenn man den Einfluss von solchen Interessenvertretungen auf Medien und Politik negiert. Rassistisch wird die Beschreibung der Macht solcher Organisationen nicht, wenn man sie einfach am falschen Ort vermutet – denn das ist schlicht eine falsche Vermutung. Rassistisch wird eine solche Bemerkung dadurch, wenn man solchen Gruppierungen übermenschliche Kräfte im Stil der Protokolle der Weisen von Zion beimisst.
Die Kritik gegen einen allfälligen Machtmissbrauch solcher Lobbies ist nicht nur legitim, sondern notwendig und darf nicht mit der sogenannten Antisemitismus-Keule unterdrückt werden.


* Shraga Elam, israelischer Journalist und Friedensaktivist in Zürich. Elam ist Träger des australischen Golden Walkley Award for excellent Journalism 2004. Seit 2006 führt er in der Schweiz zwei Prozesse gegen Henryk Broder. Bei einem Prozess geht es darum, dass Broder ihm und anderen Israelkritikern, wie den Professoren Noam Chomsky und Norman Finkelstein, vorwarf, dass sie wegen ihren antizionistischen Positionen Judeophoben seien. Chomsky und Finkelstein sind übrigens keine Antizionisten.